Ameisenstraße

Unsere Uruguay-Reise startete mit einem kleinen Krimi-Moment. Wir kamen mit der Fähre von Buenos Aires in Montevideo an, wo uns planmäßig jemand mit einem WOLF-Schild erwartete, um uns unseren Mietwagen zu übergeben. Dachten wir. Er guckte mehr als erstaunt, als ich auf ihn zuging und ihm sagte, wir seien die Familie Wolf. „Ach, sie kommen ja wirklich?!?!?“ – Äh, ja, warum auch nicht? Naja, wegen Corona, da weiß man ja gerade nie, ob nicht doch jemand von der Grenzüberschreitung nochmal positiv getestet wurde. Stimmt, aber dann hätten wir ja wohl auch Bescheid gesagt (denken die Deutschen), was wohl aber der nicht die Regel ist (sagen die Uruguayer). Er laufe nur schnell zum Büro und hole dann das Auto, wir sollen hier warten. Ok. Wir warten. Er kommt nach 10 Minuten zurück mit einem Auto. Einem alten Auto, nicht besonders gut in Schuss, aber auch nicht dramatisch, dachten wir, bis wir die mehr als in die Jahre gekommene Federung später bemerkten. Wir denken also, gut, los geht’s aber nein. Denn jetzt müssen wir erstmal alle zusammen wieder ins Büro fahren, um die Papiere zu unterschreiben. Ach so und das wäre nicht möglich gewesen, die gleich mitzubringen??? Naja gut. Es ist früher Abend, wir sind in der Hafengegend von Uruguay, die ungefähr so aussieht, wie man eine finstere Krimi-Gegend beschreiben würde, mit besetzten, heruntergekommenen Häusern, Graffiti überall, finstere Gestalten hier und da. Die Sonne stand schon tief. Das Büro war bereits geschlossen und mit Metallrollo verriegelt. Er öffnete es, fuhr uns im Auto in die zum Büro gehörende Garage und das Metallrollo schloss sich hinter uns mit riesigem Getöse. Ciao, dachte, jetzt werden wir mal so richtig schön überfallen. Klassiker, Touristen aus Europa, eingesperrt in der Garage, keiner draußen, der uns hört, perfekt eingefädelt und ich bin drauf reingefallen. Um meinen Vater und meine Stiefmutter nicht zu beunruhigen, liess ich mir meine Angst nicht anmerken, aber sie war absolut da. Sie wurde dann aber schlagartig etwas weniger, als das Licht anging und es, wenn auch nach einem schäbigen, aber zumindest nach einem echten Avis Büro mit Garage nebenan, aussah. Angeblich ging dann die Amex-Karte nicht durch und wurde vorsichtshalber gleich 3x durchgezogen… ein anderes Auto gab es nicht, für die Rückgabe sollten wir eine WhatsApp schreiben, das Auto dann wieder hierherbringen und sie würden uns dann zum Terminal fahren,… alles war irgendwie seltsam, aber wir hatten nicht wirklich eine Wahl. Wir schrieben gemeinsam mit dem Typen alle 522 Beulen und Kratzer des Autos auf und fuhren los. Die Küstenstraße war wegen Überschwemmungen geschlossen und so ging es quer durch Montevideo los Richtung Osten für uns. Wir kamen, dank Karins sicherem Fahren, heil im Hotel an – wenn auch Papi, der sich lieberweise auf die Rückbank setzte, weil mir ja hinten immer so schlecht wird, schon jetzt einen Physiotherapeuten, Masseur oder gleich einen neuen Rücken herbeisehnte.

Wir waren im selben Hotel, wie schon einmal vor zwei Jahren, und es war einfach nur schön. Das Hotel liegt 20 Minuten entfernt von der Küste im Landesinneren auf einem Hügel, von dem aus man einen traumhaften Blick über die Landschaft bis hin zum Meer hat. Alles war grün grün grün und ab und an lugten ein paar Kaktusblüten aus dem Grün hervor. Am Pool und im Restaurant erinnerten sich die Kellner an uns und es fühlte sich ein wenig nach Nachhausekommen an, da uns ja alles bekannt war. Und in Corona-Zeiten war es genau der richtige Ort, um fernab von allem Trubel entspannt inmitten der wenigen Gäste, die hier Urlaub machten, zur Ruhe zu kommen, lecker zu essen und die Natur zu genießen.

Das Wetter war irgendwie total durchwachsen. Es war zunächst warm, aber nicht zu heiß und jeden Tag regnete es ein wenig, aber immer nur kurz, so dass man jeden Tag am Pool sein konnte. Mit der Zeit wurde es von Tag zu Tag immer heißer und oft hatten wir abends die schönsten Sonnenuntergänge – jeden Tag war es gefühlt noch spektakulärer. An drei Abenden gab es allerdings dann irre Hitze-Gewitter mit extremen Stürmen, Regengüssen, Blitz und Donner, wie es für die Jahreszeit zwar typisch ist, aber in dem Ausmaß selbst für die dort wohnenden Leute komplett neu. Es kam lösend angerollt, krachte mächtig direkt über uns, so dass im Restaurant das Wasser eintrat und ich Angst hatte, ob die Scheiben wohl halten, es zog weiter und kam nach 30 Minuten nochmal wieder zurück. Wahnsinn, so etwas hatte ich noch nicht erlebt.

Wir genossen das Dasein, die Zeit zusammen, das Frühstücksbuffet und überhaupt, dass NichtEinkaufenMüssen und NichtKochenMüssen. Alleine das ist ja immer schon der größte Luxus! Und ich merkte, wie ich langsam zur Ruhe kam. So innerlich. Ich arbeitete Dinge in Ruhe ab (es hört sich alles ja immer so an, als würde ich nie arbeiten… tu ich – macht aber keinen Spaß, darüber zu schreiben ;)), erledigte auch Privat ein paar Sachen, zu denen ich in letzter Zeit nicht gekommen war und merkte, wie ich innerlich immer mehr im Relaxed-Modus ankam. So richtig bewusst wurde mir das in dem Moment, als Karin und ich nach dem Frühstück noch draußen einen Kaffee tranken und in aller Ruhe völlig fasziniert eine Ameisenstraße beobachteten, wie sie die Blätter zerkleinerten und in perfektem Team-Work Blätter, Zweige, etc. zum Eingang von Ameisen City an der Hauswand des Frühstücksrestaurants bewegten. Das war networking par excellence und plötzlich dachte ich: Wann saß ich das letzte Mal einfach so da und habe so etwas bewußt gesehen. Und mir ohne drüber nachzudenken die Zeit genommen, da mal hinzusehen. Es wertzuschätzen und zu bewundern. Wahrscheinlich als Kind. Da merkte ich, wie innerlich ruhig ich geworden war nach viel zu langer Zeit.

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