Die 4000m Phobie

Vor sieben Jahren war ich mit meiner Freundin Neitschi in Chile und Bolivien unterwegs und ich habe Bolivien leider nicht in solch guter Erinnerung, was zum einen an den wirklich fast ausnahmslos unfreundlichen Bolivianern lag, auf die wir trafen, zum anderen – und das vor allem – aber auch an meiner extremen Höhenkrankheit, die ich dort das erste Mal erlebte. Wir fuhren damals mit dem Bus von Chile aus nach Bolivien und kreuzten die Grenze bei ca. 4000m Höhe. Und kurz danach fing es an: Mir wurde schlecht, ich spuckte mir die Seele aus dem Leib, war grün-gelb, hatte Kopfschmerzen und sagte weinend zu Neitschi, dass ich nur wieder nach Hause möchte. Ob ich mein Zuhause jemals wiedersehen würde, da war ich mir in den Stunden nicht so sicher. Der Plan, auf knapp 5.000m zu übernachten, musste für die gesamte Gruppe meinetwegen abgebrochen werden, da ich nicht mal Wasser bei mir behielt. Als wir auf 3.500m ankamen, war alles wieder gut. Eine Erfahrung, die ich definitiv nicht nochmal machen möchte und wegen derer ich mich in meinem Sabbatical gegen diverse zu hoch liegende Orte, wie z.B. Lima entschieden habe.

Während der Recherche rund um Mendoza traf ich sehr schnell auf die bekannte Inka-Brücke in den Anden, den Aconcagua, den höchsten Berg Argentiniens sowie den Cristo Redentor de los Andes (den Erlöser der Anden), der an der Grenze zu Chile als Zeichen des Friedens zwischen Chile und Argentinien steht. Ausnahmslos alle beschrieben diese Route als must do von Mendoza aus und ich begann, die Höhenmeter zu recherchieren und mit den angebotenen Touren zu vergleichen. Informationen variierten von bis, wir würden ja natürlich nicht auf den Aconcagua klettern sondern ihn nur von der Route aus sehen wollten und somit sollten wir bei 3.000m maximaler Höhe landen. Ein wenig mulmiges Gefühl, aber hey, wird schon gut gehen.

Wir stiegen morgens früh in den Tour-Bus und die Reiseleitung begann mit der Frage, wie wir denn alle so mit extrem kleinst-kurvigen Straßen an tiefen Abhängen klar kämen. Das war der Moment, in dem ich, die schon auf dem Weg in Hamburg von Rahlstedt nach Wandsbek spucken musste als Kind (auf gerader Strecke wohl bemerkt und meine Mutter ist jetzt auch nicht an Rennfahrerin bekannt) ganz ernsthaft kurz überlegte, ob ich das hier wirklich will. Ich beruhigte mich mit Spucktüten und weiteren Utensilien, die ich dabei hatte und die mich immer hin auch die fünfeinhalb Stunden in dem Militärflieger haben überstehen lassen. Ich kann das, ATME. Ommm. Und wie wir denn mit über 4.000m höhe so klär kämen, hörte ich die Reiseleitungsdame mit der schrillen Stimme ins Mikrophon lachend brüllen – erst auf spanisch, dann auf englisch und es gab kein Vertun, sie sprach von über 4.000m Höhe. Was tat ich als erstes? Ich schrieb Neitschi, die mir nur Glück wünschte. Als nächstes lud ich mir eine Höhenmesser-App aufs Handy, die ich ca. alle 20-30 Sekunden ab dem Zeitpunkt aktualisierte. Ich freute mich nicht mehr auf den Ausflug sondern schaltete in den Überlebensmodus um, aber entschied, im Bus sitzen zu bleiben.

Wir fuhren stundenlang durch die schöne, bergige Landschaft, vorbei auf den Wegen des San Martín, der Argentinien von den Spaniern befreit hat, stiegen hier und da für Fotosessions aus (und ich glaube, wenn noch einmal ein Fotograf meine Mutter fragt, ob wir nicht nochmal „Arme hoch“-Fotos machen wollen, dann schlägt sie zu), ich hielt meinen Magen beschäftigt (Erfolgsstrategie!) und es ging mir gut.

Die Landschaft war mega beeindruckend und je höher wir kamen, desto mehr stand mir die letzte Etappe bevor, die es dann auch wirklich in sich hatte. Mir blieb nur eins: Ich schloss sowohl die Vorhänge des Busfensters, als auch meine Augen, um den tiefen Abgrund links neben mir, der direkt nach den 10cm Platz zwischen dem Busreifen und dem Ende des extrem kurvigen Sandweges hinabführte, nicht sehen zu müssen. Ich aß einen Bonbon nach dem nächsten, aktualisierte wie wild meine App, hörte auf meinen Körper „geht´s mir schon schlecht, geht´s mir schon schlecht“ (ja, man könnte es auch anders, etwas positiver, lösen, ich weiß…) und war zum Glück nicht die Einzige, die nicht über die Scherze zwischen Reiseleitung und Busfahrer lachen konnte, die es extrem witzig fanden, wenn er die Hände vom Steuer nahm bei jeder dritten Kurve, was sie mit ihrer Kreisch-Stimme lachend untermalte. Dazu wurde Musik á la „das Lied vom Tod“ gespielt und meine Mutter fand in Ohropax ihre Lösung. Gut, sie fahren die Strecke jeden Tag, das beruhigte mich etwas, aber ich wollte einfach nur wieder runter. Oben angekommen, erinnerte mich alles sehr an die Grenze von Chile und Bolivien und ich stelle mit Erstaunen fest, dass es mir gut ging. Leicht übel, aber das kann auch von der Fahrt gekommen sein. Wir waren bei knapp unter 4.000m, ich machte meine Fotos und war dann doch froh, als wir heil unten im Ort die Serpentinen zurückgeschafft hatten. Puh.

Der Rückweg führte uns über das Highlight der Tour, die Inka-Brücke, die ich in meinen Gedanken schon ganz weit geschoben hatte. Sie beeindruckte wahnsinnig mit den Farben, die durch die Mineralisierung der Steine entstanden sind, aber ich war fast zu erschöpft für allzu viel Bewunderung.

Zurück in Mendoza-City genossen wir ein wirklich gutes Essen nach all der Aufregung und schlenderten noch einen Moment durch die Avenida Arístides Villanueva, wo es an Restaurants nur so wimmelte und eine schöne Atmosphäre herrschte. öh

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