Ich fühl´s nicht…

In der Woche vorm ersten Advent, als alle in Deutschland ihre Weihnachtskisten aus dem Keller holten und Instagram voll war mit den ersten Weihnachtsmarktbildern, dekorierten Wohnungen, Adventskalendervorbereitungen und eine Story begleitet wurde von „It´s beginning to look a lot like Christmas“, da spürte ich ihn: Diesen dicken fetten Kloss im Hals und das Gefühl, dass ich auch Weihnachten haben möchte. Ich kam gerade hoch vom Pool, es war in der Woche sehr warm hier und ich fühlte mich nach Juli. Nicht nach Dezember. Ich vermisste Weihnachten nicht, denn alles fühlte sich nach Sommer an. Aber ich bekam Bilder geschickt, sah sie in den Nachrichten und auf Social Media und bekam krasse FOMO – fear of missing out, das Gefühl, etwas zu verpassen. Gebündelt mit der Sehnsucht nach meiner liebsten Zeit im Jahr mit Kälte, Gemütlichkeit, Kerzen, Keksebacken, Weihnachtsessen und allem, was dazu gehört. Meine Mutter ist hier, es war warm, ich war am Pool, ich hätte auch einfach das sehen können, aber dieses Lied machte etwas mit mir, ich war für einen Moment tief sentimental und voller Heimwehgefühl.

Wie es hier so läuft mit der Vorweihnachtszeit? Die gibt es schlichtweg nicht. Keiner kennt Advent, es gibt keinen Adventskranz, keinen Adventskalender, niemand backt Kekse und es existiert keine Vorweihnachtstradition, bis auf, dass am 8.12. traditionell der Weihnachtsbaum aufgestellt wird. Klar, in den Shopping Centern und co stehen große, teilweise auch schön geschmückte Plastikbäume, Kinder hängen ihre Wünsche an den Weihnachtsmann dort dran und selbst der Flughafen ist mit Girlanden, Kugeln und Glocken geschmückt. Aber ganz ehrlich: Weihnachten im Sommerkleid – ich spüre es nicht. Es berührt mich nicht, dieses wohlig warme Geborgenheitsgefühl, das Weihnachten in mir auslöst, es will nicht aufkommen.

Da ich am 8.12. mit meiner Mutter in Patagonien auf Reisen sein werde, beschlossen wir, den Tannenbaum gegen jegliche Tradition (weder Deutsche noch Argentinische) einfach schon am 1. Advent rauszuholen. Am Tag vorher wurde bei der Deutschen Botschaft ein Weihnachtsmarkt veranstaltet. Meine Idee war, dort etwas (hahahaha, jede(r), der mich kennt, weiß, dass es dabei nicht bleiben sollte) Deko zu kaufen und dann am 1. Advent alles schön zu schmücken. 

Der Weihnachtsmarkt entpuppte sich zu 90% als klassische „Feria“, also als ein Markt, auf dem Selbstgemachtes verkauft wurde. Zugegeben, hier und da waren auch Engel, Sterne, selbstgebackene Lebkuchen und Wichtel dabei, es gab Würstchen und Kuchen – aber auch Eiskaffee und Sommerkleidchen. Es war ein netter Versuch, würde ich sagen. Und als der Weihnachtsmann um die Ecke kam, spürte ich nur Mitleid mit dem armen Kerl, der bei der Hitze in dem Kostüm umherlaufen musste. Ich kaufte (natürlich) trotzdem ein paar Deko-Sachen und so war ich auf Sonntag vorbereitet.

Und dann wurde der erste Advent wirklich noch super schön. Maxi und Martín haben sich ganz doll Mühe gegeben, es für mich und uns schön zu machen, das Thema Advent ein bisschen mit zu leben, auch wenn sie es so nicht kennen. Da es regnete und etwas kühler war, saßen wir sogar, nachdem wir alle zusammen bei Weihnachtsmusik das Wohnzimmer dekoriert hatten, gemütlich bei Argentinischem Weihnachtsgebäck (Pan Dulce, also süßes Brot, das im Grunde wie Italienische Panettone ist) und Deutscher erster Adventskerze am Kaffeetisch und ich war einfach nur glücklich. In dem Moment kam mal ganz kurz dieses Gefühl von Gemütlichkeit und Geborgenheit hoch und selbst, wenn es das gewesen sein soll für dieses Jahr, dann war es zumindest einmal kurz da. Und ich durfte sogar am ersten Advent mein erstes Türchen öffnen – denn meine liebe Freundin Moni hat mich, durch eine Beiersdorf-Kollegin von ihr, die in Hamburg lebt, aus Buenos Aires kommt und hier ihre Eltern besucht hat, mit einem Adventskalender überrascht, der für jeden Adventssonntag ein Türchen hat. Und im ersten Türchen war gleich noch ein Tischkalender, so dass ich für jeden Tag etwas Neues habe. Genau wie im kleinen Postkartenkalender, den meine Mutter aus Hamburg für mich im Gepäck hatte. Am 1.12. überraschten Martín und Maxi meine Mutter und mich dann auch noch mit einem Kalender für jede und ich bin so dankbar und glücklich, dass sie sich so bemühen, meine Tradition aufzunehmen, zu adaptieren und wir sie für unsere Familie so weiterleben können. 

Und so habe ich auch heute kurz vorm Aufdenwegmachen zum Flughafen noch schnell die Nikolausstiefel für die beiden gepackt und versteckt, damit sie am 6. auch eine kleine Überraschung vorfinden, während ich in Patagonien sein werde. Der Nikolaus hat hier in Argentinien mal ein Auge (oder beide) zugedrückt, was die geputzten „Stiefel“ angeht…

Weihnachten mal anders. Meine Freundin Vivi gab mir den Tipp, statt zu sehen, was ich nun dieses Jahr nicht habe, einfach mal zu genießen, dass es so auch weniger Stress ist. Denn seien wir ehrlich, die Geborgenheit und Gemütlichkeit kommt ja auch immer nicht von alleine sondern bedarf viel Vorarbeit. Das werde ich nun also versuchen… und doch weiß ich, dass es mir so fehlen wird, nicht beim seit 20 Jahren stattfindenden Weihnachtsessen mit meinen Mädels dabei sein zu können, nicht mit allen in großer Runde Kekse zu backen und danach mit meiner Freundin Moni bei Suppe und Sekt Tatort zu gucken, nicht auf den Weihnachtsmarkt zu gehen und nicht beim klassischen Grünkohlessen mit allen bei Vivi bis 3h morgens zu versacken, nicht nach Berlin zu fahren, um die Vorweihnachtszeit mit meiner dortigen Familie zu genießen, nicht meinen Vater zum Vater-Tochter-Wochenende zu Besuch zu haben, nicht an Weihnachtsfeiern teilnehmen zu können (wenn sie denn stattfinden), nicht mit meiner Mutter nach Lübeck, Bremen oder sonstwo einen neuen Weihnachtsmarkt zu erkunden und auch nicht Tine (und Püppi und Pedi) am 24. morgens in Rahlstedt beim Bäcker zu treffen, wie jedes Jahr. 

Dafür habe ich jetzt 3 Monate Sommer vor mir. Um dann den Sommer in Hamburg später zu genießen. Wahnsinn. Das ist ja schließlich auch mega toll und alles frei gewählt. Voller Fokus hierauf also ab jetzt. Und trotzdem habe ich schon allen angekündigt, dass ich die Vorweihnachtszeit 2022 voll ausschöpfen werde: Ich werde jeden Tag Keksebacken, für den Adventskranz gleich 3 Sets an Kerzen kaufen, es wird ständig Weihnachtsessen geben und ich werde schon zum Frühstück Glühwein trinken. Haha, das wird ein Fest.  

Ein Gedanke zu “Ich fühl´s nicht…

  1. Liebe Tina, Deine Gedanken haben mich sehr berührt…ich wüsste nicht, wie ich damit umgehen würde, wenn das Ganze drunherum um Weihnachten so anders wäre, weil ich diese Zeit auch so liebe.
    Du machst das grossartig – einfach den Blick auf das Gute werfen!
    Ich bewundere Dich…und wünsche Dir eine gute Vorweihnachtszeit.
    Liebe Grüße nach Patagonien, Frauke

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