Es ist Sonntag und ich bin etwas enttäuscht, dass ich ausgerechnet für heute Tickets für eine Fiesta Gaucha auf einer Estancia – also auf einem Pferdehof – gebucht habe, denn sonntags ist DER Markt im Stadtteil San Telmo. Aber mit jeder Entscheidung FÜR etwas entscheidet man sich eben immer auch GEGEN etwas. Also das Beste draus machen!
Wir fahren raus aus der Stadt aufs Land. Außerhalb von der Stadt Buenos Aires liegt die Provinz Buenos Aires mit 600 gated communities mit Shopping Center, Supermarkt, künstlichen Seen, etc., um Verkehr, Umweltverschmutzung und Lautstärke zu reduzieren, da die Leute, die hier leben, dann nicht in die Stadt fahren. Hier leben ca. 100.000 Familien der middle und upper class. Wir fahren noch weiter raus und kommen an bei der Estancia Santa Susanna. Es ist – natürlich – schon eine touristische Massenveranstaltung mit Reiten und Kutschefahren und mir tun die Pferde leid und ich fühl mich schlecht, dass ich es durch den Kauf meines Tickets unterstütze. Hm.
Zum Lunch gab es Barbeque, wie sollte es auch anders sein – asado, wie es hier heißt. Es gab lange Tafeln und wir hatten eine nette und interessante Runde. John und Mary aus Irland, beide Archäologen, Mieko, die mit ihrem 85jährigen Vater ihren in Buenos Aires lebenden Ehemann besucht, Laura aus Madrid und ihr Mann aus Italien, die gerade nach San Francisco gezogen sind und Sunanda aus Indien, die mit ihrem Mann seit 45 Jahren in Houston/ Texas lebt und mit 17-18 für Mutter Theresa gearbeitet hat. Sie kümmerte sich um die Weisen und um behinderte Kinder in Kalkutta in Indien und um alte verstoßene Menschen. Sie sagte zu mir: „Ich muss Dir eine Sache über Mutter Theresa sagen. Sie war die einzige Person, die Dir, wenn sie mit Dir sprach, das Gefühl gegeben hat, dass Du das Einzige bist, was gerade wichtig ist. Auch wenn Du nur 2 Minuten mit ihr geredet hast, hat sie nur Dich angeguckt, Dir in die Augen geblickt und nichts anderes war gerade wichtig für sie.“ Sunanda fing an zu weinen, während sie das sagte und sagte, es wäre die größte Ehre ihres Lebens gewesen.
Spannend, was man so für Menschen trifft, was für Historien die haben und Geschichten zu erzählen. Ist doch sehr Horizont erweiternd.
Zum Abschluss gab es dann die große Show des Ringreitens durch die Gauchos. Der erste Versuch vom jüngsten Gaucho – gleich geglückt! Er reitet also Richtung Publikum und hält direkt vor mir an, gibt mir den Ring und hält mir mit den Worten „dame in beso“ die Wange hin. Endlich weiß ich, wofür das jahrelange Spanischlernen gut war! Er bekommt seinen Kuss, die Menge applaudiert und ich hab das schönste Argentinien-Erinnerungsstück! Klar, die weiteren Ringe wurden auch verteilt mit gleichem Procedere, denn so war es damals bei den Gauchos schon. Aber ich war die Erste. So!
Als wir zurück in der Stadt sind, lass ich mich beim San Telmo Market rauslassen, denn auch wenn es schon 18h ist und einige wenige Stände schon abbauen, so bekomme ich doch einen guten Eindruck vom Treiben dort und finde sogar schöne TangoFotos einer Fotografin, die ich als Erinnerung kaufe. Leider tanzt keiner mehr auf der Plaza Dorrego, wo sonst wohl immer noch Straßenkünstler richtig gut Tango tanzen, aber das ist nicht schlimm. Ich laufe die Calle Defensa zurück bis zum Plaza de Mayo und will dort in die U-Bahn steigen, aber wegen einer Baustelle sind einige Eingänge gesperrt. Ich spreche zwei Mädels an, die auch suchend gucken, wir finden den Eingang gemeinsam und es stellt sich heraus, dass die eine in Hamburg-Jenfeld aufgewachsen ist, nicht weit also von Rahlstedt, wo ich herkomme. Klein ist die Welt.
Am nächsten Tag wollte ich das Flußdelta hoch fahren in die kleine Stadt Tigre. Wobei sich das nicht wirklich gelohnt hat, denn außer einer Stunde auf einem Boot den Fluss auf und ab zu schippern und sich ein paar Vororte kurz anzugucken, gab es nicht viel zu sehen. Schade – aber so ist das eben beim Reisen, es gibt und gute und weniger gute Erfahrungen, Dinge, die einem gefallen und Dinge, die einem nicht gefallen. Das nennt mal wohl Erfahrungen sammeln.
Ein Gedanke zu “Ich und die Gauchos”